Wolfgang is in da House


Wolfgang, die WinkelspinneEigentlich wollte ich nur die Kinder ins Bett bringen.
Doch mitten im Weg saß sie plötzlich da. Fett und bräsig lauerte sie auf uns, begierig, die Schreie zu hören und sie in sich aufzusaugen, um daraus Energie zu ziehen. Um ans Ziel zu kommen, mussten wir zwangsläufig an ihr vorbei, es gab einfach keinen Ausweg. Gerne hätte ich Lina diesen Anblick erspart, aber zu spät, magisch hat sie alle unsere Blicke auf sich und ihre haarigen Beine gezogen: die dicke, fette Spinne in unserem Flur.
„Iiiiiiiihhhhhh“
Ja, das war sie wirklich. In meiner Erinnerung ist sie mindestens dreißig Zentimeter groß, vielleicht waren es aber auch nur drei. Und ich spreche hier nur vom Körper. Die Beine gehen extra. Riesige Augen verfolgten jede unserer Bewegungen und mit ihren gewaltigen Kauwerkzeugen hätte sie ganze Finger mühelos in Stücke beißen können.
„Tu‘ sie weg. Aber nicht tot machen.“ 
Das war die Ansage. In der informellen Ehemann-Arbeitsplatzbeschreibung meines Mannes steht neben Reifenwechseln,  Siphonsäubern und Glühbirnentauschen genau dieser Satz. Leider hat er nicht nur Pflichten sondern auch einige Freiheiten und so befand er sich an jenem denkwürdigen Abend außer Haus.
Fritz meint gern, dass er die ganz große Nummer ist und alles kann, schließlich ist er ja auch schon sechs Jahre alt und verfügt über die Lebenserfahrung eines hundertjährigen. Jedenfalls hat er großzügig angeboten, dass er die Beseitigung des Spinnenmonsters übernehmen würde.
Da wir nebenan einen Supermarkt haben und man ja nie weiß, was da so aus den Bananenkisten krabbelt, habe ich dieses Angebot jedoch strikt abgelehnt und den Fall selbst übernommen. Da ich aber sehr neugierig und wissensdurstig bin, wollte ich dieses Untier zudem lebendig fassen. Zermatscht lässt sich ein Insekt immer so schlecht bestimmen.
Nachdem ich also den Gefahrenbereich großzügig abgesperrt hatte und geeignetes Fangwerkzeug in Form eines Keschers, einer gläsernen Salatschale und einer Pappschachtel zurecht gelegt hatte, verabschiedete ich mich von meinen Kindern und stellte mich todesmutig der Gefahr.
Kalt lächelnd hatte das Spinnenvieh meine Vorbereitungen beobachtet und unbeweglich in ihrer Ecke gesessen. Sobald ich mich ihr jedoch näherte, sprintete sie in einem Tempo, in dem sie Sebastian Vettel hinter sich gelassen hätte, auf ihren ungefähr hundert Beinen davon. Ich will nicht wissen, was die Nachbarschaft bei den Schreien gedacht hat, die an diesem Abend aus unserem Haus gellten. Irgendwie wollte sich das Ungeheuer nicht fangen lassen. Plötzlich krabbelte sie auch noch die Wand hoch. Hat man sowas schon mal gehört? Fritz hat sich dann auch noch in die Jagd eingeschaltet. Unsere Schreie wurden jetzt zweistimmig. Kurz bevor sie sich auf uns stürzen konnte, um uns mit ihren fiesen Kauwerkzeugen das Blut aus den Adern zu saugen, ist es uns mit allerletzter Kraft gelungen, die Schale über die Spinne zu stülpen.
Gefahr gebannt, kurzes Durchatmen. Was für eine Vogelspinnenart haben wir da eigentlich gefangen? Ein Blick in den großen Kosmos-Naturführer belehrte uns, dass es sich bei unserer Spinne um ein Exemplar von Tegenaria atrica, handelt, der bei uns häufigsten Spinnenart in Gebäuden. Man könnte auch Winkelspinne dazu sagen, aber das wäre ja zu unspektakulär.
Im Internet haben wir dann noch mehr Bilder von unserer Spinne gefunden. Offensichtlich handelte es sich um ein stattliches Männchen. Wir haben den Spinnerich dann Wolfgang genannt und am äußersten Ende unserers Hofs ausgesetzt.
„Schade, dass wir kein Video gedreht haben“, meinte Lina im Anschluss „das wäre bestimmt der Kracher bei Youtube geworden.“
„Das will doch niemand sehen. OK, Wolfgang ist schon recht groß, aber eine Winkelspinne unter einer Salatschüssel, die sich nicht bewegt?“
„Das meine ich nicht. Ich denke an die Szene vorher: zwei Idioten versuchen schreiend eine Spinne zu fangen.“
Punkt für Lina.

6 Gedanken zu „Wolfgang is in da House

  1. Beatrice

    Haha! Ich muss mich schon sofort hektisch jucken, beim Anblick von Wolfgang. 😀
    Ich möchte sagen: ich habe einen ausgeprägten Hauswinkelspinnen-Ekel.
    Derzeit sinniere ich intensiv darüber, wie ich meinen Kindern ersparen kann, ihre Mutter kreischend und mit einer Art epileptischem Anfall zu erleben, wenn ein Wolfgang oder eine Waltraud das Haus betritt. Kürzlich erst hatte ich „Nah-Kontakt“ draußen und in Abwesenheit der Kinder. Mann, war das schlimm! 😀
    Bah! Die Viecher gehen gar nicht. Alles andere kann ich noch verschmerzen. Aber die nicht.

    Meinen Respekt vor der mutigen Einfangaktion!

    LG

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  4. Claudi

    Du hättest doch einfach an der “Repzepzion“ anrufen können – dort hätte man bestimmt einen professionellen Kammerjäger vorbei geschickt… 🙂

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