Die Kaninchen-Chroniken


„Wer hat meinem Sonderangebots-Schokonikolaus den Kopf abgebissen?“, rufe ich ins Treppenhaus.
Lässig schlendert mein Sohn die Treppe hinauf.
„Is was?“, fragt er mich.
„Hast Du meinen Schokonikolaus barbarisch mit den Zähnen guillotiniert?“, frage ich ihn zurück.
„Ach. Mein. Dein – das sind doch bürgerliche Kategorien. Aber wo ist eigentlich mein MP-3-Player?“
Dann setzt er noch hinterher: „Was heißt überhaupt ‚bürgerliche Kategorien‘?

Was bisher geschah: Mein Mann hat mir die Hörbuchversion der Känguru-Trilogie von Marc-Uwe Kling geschenkt. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, war das das beste Geschenk überhaupt für die gesamte Familie. Wir sind in Begleitung des Kängurus zwischenzeitlich schon in den Schwarzwald und ins Allgäu gefahren. Wenn das Känguru nicht wäre, hätten wir ansonsten fünf Stunden  auf der Autobahn den Raiders March aus Indiana Jones oder mit etwas Glück „Toggo Hits 1 – 38874“ gehört.
Ich lausche inzwischen gerne den Geschichten vom Känguru auf dem Weg von und zur Arbeit, obwohl bislang für mich nur HR2 in Frage kam. Staus finde ich jetzt super, dann gibt es länger Känguru. Die irrwitzigsten Umwege lasse ich mir einfallen, nur um die Ansichten des schlitzohrigen Beuteltiers in mich aufsaugen zu können, damit ich sie bei passender Gelegenheit irgendwem als Glanzparade entgegenschleudern kann.
Bislang steht es blöderweise in dieser Kategorie 5:0 für die Kinder, was die eingangs erwähnte Episode beispielhaft zeigt.
Allerdings klauen mir die Kinder auch permanent die CDs und haben zudem viel mehr Zeit, sie zu hören. Morgens zum Aufwachen, nachmittags beim Spielen, abends zum Einschlafen. Wahrscheinlich hören sie die demnächst auch in der Schule, wenn die Lehrerin mal wieder Halsweh hat und keine Lust auf Star-Wars-Hörspiele.

„Gibt es eigentlich auch einen vierten Band der Känguru-Chroniken, Mama?“, fragt Lina.
„Nein“, antworte ich.
„Noch nicht“, entgegnet mir meine Tochter und klingt dabei wie das Känguru, wenn es andeuten will, dass irgendeine fiese Verschwörung im Gange ist, von der nur es selbst etwas ahnt.
„Findet Ihr die so gut?“, will ich jetzt von den Kindern wissen.
„Jaaaaa! Känguru for President!“
Die Kinder sind sich einig. Das ist ungewöhnlich.
„Aber die Sandkuchen-Geschichten findet Ihr schon besser, oder?“
Ein mitleidiger Blick meiner Tochter bedeutet mir, dass ich mir die letzte Frage vielleicht doch besser verkniffen hätte. Warum muss ich auch immer so großkotzig und selbstüberschätzend sein. Ich bin doch nicht das Känguru. Aber vielleicht habe ich ihm in letzter Zeit ein bisschen viel zugehört.
„Weißt Du, Mama“, macht sie einen halbherzigen Versuch, mich zu trösten, „in Deinen Geschichten fehlt einfach der tierische Part. Vielleicht solltest Du noch einen süßen sprechenden Pandabären einführen oder Du schreibst Kaninchen-Chroniken.“

Während ich darüber nachdenke, wie ich unseren zwei Karnickeln das Sprechen beibringen könnte, fährt Lina weiter fort: „Es gibt eine grüne, eine blaue und eine orangene CD. Da fehlt auf jeden Fall noch eine gelbe.“
Viel Hoffnung scheint sie ja nicht in die Kaninchen-Chroniken ihrer Mutter zu setzen.

Fritz hat inzwischen seine Lieblings-Känguru-Geschichte gefunden. Begeistert kommt er angelaufen. Aus seinem Zimmer hört man Marc-Uwe Kling die Indiana-Jones-Musik anstimmen.
Das kann doch alles kein Zufall sein. Irgendjemand will mich auf ganz perfide Art in den Wahnsinn treiben. Die Nagelscherenindustrie vielleicht oder Nozama?
Da fällt der Blick meines Sohnes in meinen Beutel meine Handtasche.
„Ach. Schau, schau. Da ist ja MEIN MP-3-Player.“
Perfekt imitiert er den Tonfall Marc-Uwe Klings in der Episode, in der er und das Känguru in Urlaub fliegen wollen und an der Sicherheitskontrolle hängen bleiben.

„Ach“, antworte ich, „Mein. Dein. Das sind doch nur bürgerliche Kategorien.“

Was auch immer das heißen soll.

3 Gedanken zu „Die Kaninchen-Chroniken

  1. beatriceconfuss

    Das Känguru ist super. Der Marc-Uwe ohnehin. Und du schreib schön weiter über Sandkuchen! Ich bin heute so müde, dass ich ernsthaft in Erwägung ziehe, ob nicht die Kinder MICH mal zur Abwechslung ins Bett bringen sollen. DIE sind nämlich top fit. 😀 LG

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