Ich habe Linas Hausaufgaben gefunden: „Ach herrjeh. Wie sieht das denn aus? Alles krumm und schief, weder Punkt noch Komma und einen Rand hat sie auch keinen gelassen. Kaum ein Wort ohne Fehler! Da krieg‘ ich Pusteln wenn ich so was sehen muss. Das ist ja ganz grauenhaft. Wie kann sie so etwas machen? Das macht mich wahnsinnig!“
Vielleicht habe ich mich auch noch ein wenig drastischer ausgedrückt beim Anblick dieser sogenannten Hausaufgaben. Lina war zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend. Aber Fritz.
„Mama. Aber sag‘ ihr das nicht so. Sonst heult sie wieder und ich krieg‘ Mitleid.“
Mitleid ist echt ein Problem bei Fritz. Oder ist es eine Stärke? Ich weiß es nicht. Als er noch viel jünger war als jetzt, so zweieinhalb vielleicht, kam er heulend zu mir gelaufen, weil Lina eines seiner Spielzeuge konfisziert hatte. Es war eines seiner liebsten Autos und Lina hatte bislang noch nie großes Interesse daran gezeigt. Und jetzt hatte sie es ihm einfach weggenommen. Gemein!
Lina saß völlig unbeirrt in einer anderen Ecke, das Raubgut in der Hand. Ich bin also hingegangen und habe ihr das Spielzeug-Auto kommentarlos wieder weggenommen.
Das Ergebnis meiner Aktion waren zwei heulende Kinder. Lina, die sich darüber geärgert hat, dass ich ihr das Auto weggenommen hatte und Fritz, der jetzt heulend rief: „Nein. Mama. Ich will das Auto gar nicht mehr. Gib es Lina. Sie soll es haben.“
So ist das also bei Fritz. Auch fünf Jahre später hat sich noch nichts daran geändert, dass er seine Schwester nicht heulen sehen kann. Egal wie fies sie zu ihm war.
Seine Lösung für die fürchterlich lieblos hingerotzte Hausaufgabe war also: „Lass mich es ihr sagen.“
„Fritz. Wenn Du ihr erklärst, dass sie die Hausaufgaben noch mal und ordentlich machen soll, dann haut sie dich.“
Kurzes, nachdenkliches Schweigen.
„Mhm. Ja, stimmt. Sag Du es ihr. Aber nicht so. Ich sag Dir, wie Du es machen musst“, und mit einer säuselnden Stimme fuhr er fort: „Hallo Lina. Na, hattest Du einen schönen Tag? Ich habe mir Deine Hausaufgaben durchgelesen. Da hast Du ja viel geschrieben. Toll. Und so schön gemalt. Aber mir sind da noch ein paar Fehler aufgefallen, die solltest Du noch korrigieren. Wir können das gerne in Ruhe zusammen machen. Aber jetzt essen wir erst einmal was Leckeres.“
Dann folgte noch der Hinweis: „Und immer schön lächeln dabei, Mama. Und nicht dieser Mecker-Ton.“
Da ist man erst einmal sprachlos als Mutter. Liest der heimlich Erziehungs-Ratgeber? So wie das klingt, schreibt er die selbst. Vielleicht sollte ich ihn mal mit zur Arbeit nehmen, damit er mich da auch coachen kann.
Manchmal bleibt er aber auch sehr vage, was seine Ratschläge angeht.
Einmal, da war er knapp sechs Jahre alt, habe ich ihn gefragt, warum er eigentlich immer so viel Quatsch macht und ob er nicht einfach mal damit aufhören könne.
Die einfache Antwort war: „Tja, Mama. Dann hättet ihr mich einfach besser erziehen müssen.“
Vielleicht erklärt mir das weise Männlein auch noch irgendwann mal im Detail, wie das geht.
Fritz wird Psychologe. Um das Studium zu finanzieren kann er im Verkauf arbeiten, das beherrscht er ja auch schon perfekt.
Aber im Ernst… Du hast da einen echt erstaunlichen Filius.
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