„Können wir heute spazieren gehen, Mama?“
Ich greife mir an die Ohren. Irgendetwas stimmt da nicht. Ob ich langsam schwerhörig werde? Oder liegt die Ursache woanders? Im Hirn etwa? Visionen? Was gab es denn zum Mittagessen? Selbstgesammelte Pilze oder geschlossene Muscheln?
Die Möglichkeit, dass eben tatsächlich eines meiner Kinder gefragt hat, ob wir spazieren gehen können, schließe ich nämlich kategorisch aus. Ich lache. In meiner Erinnerung haben nämlich beide Kinder gleichzeitig gefragt.
„Aber nicht irgendwohin, wo es viele Bäume gibt, da habe ich dann nämlich keinen Empfang.“
Diesmal klingt das, was meine Tochter sagt, irgendwie glaubwürdiger.
Na klar, die wollen gar nicht der Natur willen oder gar um etwas gemeinsam als Familie zu unternehmen, raus ins Freie. Die wollen auf die Jagd. Auf die Jagd nach Pókemons, um genau zu sein. Taubsis, Glumandas und natürlich Pikachus fangen, um diese dann abzurichten und Kämpfe zu gewinnen.
„Und, bist Du Slytherin oder Hufflepuff?“, frage ich Interesse heuchelnd.
„Gryffindor. Boa, Mama.“
Das Kind rollt die Augen, dass ich etwas Angst bekomme, dass sie gleich rausfallen und über den Boden kugeln.
Danach bekomme ich einen viertelstündigen Vortrag darüber gehalten, welche Teamfarbe warum denn nun die beste ist. Ich bekomme Namen von Klassenkameraden um die Ohren gehauen, die ich noch nie gehört habe. Ich glaube zumindest, dass es sich um Klassenkameraden handelt, meine Tochter spricht nämlich nur von Idioten und Losern.
„In Deinem Zimmer steht eine Kiste mit Klamottemons, die müssen unbedingt dort befreit und an ihren Platz im Schrank gebracht werden. Sonst wird der Gott der Klamottemons zornig und lässt alles explodieren. Oh, so wie Dein Zimmer aussieht, ist das wohl schon passiert.“
Mein Mann, der alte Witzbold, versucht, als Trittbrettfahrer auf den Pokémon-Zug aufzuspringen und Lina dazu zu bringen, nicht nur in die Natur rauszugehen, sondern auch noch gegen ihre Natur zu handeln und für Ordnung zu sorgen.
Obwohl sie jetzt noch doller mit den Augen rollen muss, versucht sie, über Whatsapp und Youtube rauszukriegen, wo in der Nähe noch mehr Pokeviecher frei rumlaufen.
Erstaunlicherweise sind nach einer halben Stunde aber dann doch alle Klamottemons im Schrank verschwunden.
„Wenn ich in meinem Zimmer ein Pokemon finde, dann materialisiere ich es und verwende es als Kuscheltier“, klärt mich währenddessen Fritz auf. Mir ist nicht ganz klar, wie er das anstellen will und auch nicht, wie er das Pokémon finden will, da ihm das passende Gerät dafür fehlt. Das seiner Schwester wird er nicht bekommen, die würde sich eher sämtliche Finger abhacken, als ihren heiligen Gral aus der Hand zu geben. Aber Fritz spricht über die Materie so gut informiert, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht, als Pokémonster zu fangen.
„Die lesen keine Zeitung, aber wissen trotzdem Bescheid“,
wundert sich hingegen die Oma, die auch bestens über die kleinen Monster informiert zu sein scheint, obwohl sie mit Computern, Smartphones und Videospielen ungefähr so viel zu tun hat, wie ich mit Astrophysik.
„Hast Du als Kind auch mit Pokémons gespielt, Mama?“,
will jetzt mein Sohn von mir wissen. Ich glaube, das war meine letzte Chance, meinen Kindern zu vermitteln, dass ich nicht mit Glück den Urknall überlebt habe. Aber irgendwie schauen sie mich schon mitleidig an, als ich ihnen antworte, dass es damals überhaupt keine Pokémons gab.
Naja, aber dafür kann ich ja jetzt Pokémons fangen. Könnte ich. Wenn mein Smartphone nicht so schrecklich alt wäre.
„OK, dann gehen wir jetzt halt spazieren.“
„Ne, brauchen wir nicht mehr, Mama. Ich habe mir jetzt einen Duft installiert, mit dem ich die Pokémons in mein Zimmer locken kann.“
Pokémon Go ist die beste App, die sich die Entwickler hätten einfallen lassen können. Jeder liebt Pokémons und jetzt geht man sogar freiwillig ins Freie, um sich welche zu fangen. Ich bin gestern auch für 2h mit einer Freundin draußen rumgelaufen. Da kommen Kindheitserinnerungen wieder hoch. ^^
Ich hab auch einen genialen Spruch auf Facebook dazu gefunden:
1998: Hör auf, Pokémon zu spielen und geh raus!
2016: Hör auf, Pokémon zu spielen und komm wieder rein! 😀
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