Das Erwachen des Einkaufsparadieses


Irgendwie muss ich eingeschlafen sein. Plötzlich schreckt mich lautes Klopfen an die Schlafzimmertür aus meinen Träumen.
Als ich zur Tür gehe, bemerke ich den Zettel, der unter der Tür durchgeschoben wurde.

„Bitte in den Rewe kommen  :-)“

Lange war es still an dieser Front. Niemand kümmerte sich mehr um den Laden, neue Sachen wurden völlig ohne System einfach vor die alten Lebensmittel gestellt, Dosenpfirsiche neben Nudeln, Kaffeepads neben eingelegte Gurken und überall Marmeladengläser. Erdbeere 2017, Quitte-Kürbis 2013, Brombeere 2015 und natürlich jede Menge leere Gläser. Keine Bewegung ist möglich, ohne dass eins der Gläser klirrt.

Dabei sah zunächst alles so gut aus. Der Rewe expandierte. Es wurde zwei Stockwerke tiefer ein Getränke-Rewe eröffnet mit gekühlten Getränken, Preisliste und Flaschenöffner-Service. Nie vorher und nie später war das Abstellräumchen am Fuß der Treppe so ordentlich und sauber wie zu dieser Zeit.
Aber wie so oft im Leben, gab es ein grundlegendes Problem: Auch ein Fritz kann nicht in zwei Filialen gleichzeitig sein.
Also hat Fritz zu einer verzweifelten Maßnahme gegriffen: er hat seine Schwester eingestellt.
Aber ein Angestellter ist nie so leidenschaftlich dabei wie ein selbständiger Chef, der sein Herzblut in die Arbeit steckt.
Und leider kann Lina schon mal Bier nicht von Radler unterscheiden (richtig gesagt: will es nicht können) und hat auch keine Ahnung, wo der Flaschenöffner ist (will es nicht wissen).
Selbst bedienen durfte man sich als Kunde aber mittlerweile auch in keinem der Rewes mehr.

Dann gab es immer mal wieder Kundenbeschwerden über unfreundliches Personal oder zu hohe Preise. Erschwerend kam hinzu, dass das Zahlungsverhalten der Kunden in etwa so zuverlässig war wie die Aussicht auf eine pünktliche Ankunft bei einer Reise mit der Deutschen Bahn.

Weil das Personal nicht bezahlt wurde, verweigerte es zudem ziemlich schnell die Arbeit und erzählte was von Streik.
Da Lina aber mehr selbst getrunken als verkauft hatte, ließ der Marktleiter in dieser Sache nicht mit sich reden und hat sie gefeuert, da ist er so schnell und konsequent wie Donald Trump in seiner Personalpolitik. Der Unterschied ist nur, dass er nicht darüber twittert. Da ist er eher so diskret wie Don Corleone.
Das Problem dabei ist nur, dass er jetzt wieder gleichzeitig überall sein muss.

Der Höhepunkt war erreicht, als mein Mann und ich eines Abends, als die Kinder auswärts übernachtet haben, nach einem Konzert noch spontan Freunde auf etwas zu Trinken eingeladen haben.
Glücklicherweise hatte der Kiosk um die Ecke noch offen, unser Getränke-Rewe war nämlich geschlossen.
Und der Schlüssel war weg. Beim Marktleiter. Damit keiner einbricht.
Von da an ging es dann bergab. Der Rewe-Vermieter kassierte die Schlüssel ein, durch die ab dann durchgesetzte 24/7-Öffnung mit Selbstbedienung zog die Unordnung wieder in beide Rewe-Filialen ein, bis sich irgendwann niemand mehr daran erinnerte, dass es hier mal einen engagierten Marktleiter gab.

Bis heute.
Und jetzt die Aufforderung, in den Rewe zu kommen. Gleichsam aufgeregt als auch ängstlich steige ich die Treppenstufen nach oben, auf dem Weg in unsere Speisekammer. Was mich wohl erwartet?

Der Laden ist jetzt wieder tipptopp. Alles aufgeräumt und sauber gemacht, das elektronische Klavier vor dem Eingang spielt leise unaufdringliche Kaufhausmusik von alleine und die aufgehängte Lichterkette wirft ein sanftes Licht auf die Produkte. Die Marmeladengläser stehen alle wieder ordentlich nebeneinander und sortenrein getrennt, drinnen sitzt der Marktleiter auf seinem Hocker und wartet auf Kundschaft, als wäre er nie weg gewesen. Er lächelt sogar freundlich.

Einen winzigen Nachteil gibt es aber doch: Die Preise sind jetzt doppelt so hoch wie vorher.




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