Als wir in unsere Wohnung eingezogen sind, war unser Dachboden leer. Sauber und leer. Und groß. Wir hätten dort ausschweifend Wiener Walzer tanzen können, wenn die Deckenhöhe nicht so niedrig und mein Mann nicht so groß wäre.
Und jetzt? 15 Jahre später und zwei Mitbewohner mehr, kann man sich dort kaum noch um die eigene Achse drehen, wenn man erst einmal die Stufen hinauf erklommen hat. Kisten voller Spielzeug und Plunder und leere Verpackungen stapeln sich, dazwischen immer mal wieder aussortierte Kuscheltiere, zerdellerte Laternen und defekte oder veraltete Elektrokleingeräte.
Ich habe mich immer gefragt, warum die Idioten in den Horrorfilmen jedes Mal die Treppe nach oben rennen, anstatt aus dem Haus zu fliehen, wenn sie angegriffen werden. Wenn ich mich so auf unserem Dachboden umschaue, dann ergibt das alles plötzlich einen Sinn. Wo könnte man sich besser verstecken als zwischen all dem Unrat, der dort ein neues Zuhause gefunden hat?
Der diesjährige Neujahrsvorsatz lautete also: Dachboden entrümpeln.
„Echt? Heute?“
„Ja, einfach mal anfangen, vielleicht ein Stündchen oder so.“
Bevor wir die Magnum-Videokassetten entsorgen, prüfen wir zunächst einmal die Funktionstüchtigkeit des dazugehörigen Abspielgeräts. Entgegen unserer Vermutung funktioniert der Videorekorder doch noch. Schade eigentlich. Thomas Magnum muss trotzdem auf die Müllhalde.
„Die leeren Videokassetten heben wir aber mal auf.“
„?“
„Irgendwann sitzt Du vielleicht da, und dann brauchst Du eine leere Videokassette“, belehrt mich mein Mann.
Auf diese Dystopie bin ich ehrlich gespannt.
Auch wenn die Videorekordergeschichte es auf den ersten Blick nicht vermuten lässt, mein Mann kann wirklich gut aufräumen. Zwei Stunden später schleppe ich kistenweise Müll in den Schuppen, damit er in der kommenden Woche auf die Deponie verbracht werden kann.
Eine zerdellerte Laterne trage ich schon mal zu den Mülltonnen, damit die Kinder nicht mitbekommen, dass die entsorgt wird. Das würde bloß einen Aufschrei geben und unnötige Diskussion, an deren Ende ich die Laterne vorläufig wieder auf den Speicher tragen würde.
Blöderweise sind die Kinder während unserer Aufräumaktion damit beschäftigt, den Hasenstall sauber zu machen. Blöderweise deshalb, weil die Kaninchen direkt neben den Mülltonnen wohnen.
Aber gut. Muss ich halt vorsichtig und raffiniert vorgehen.
Fritz kniet gerade mit dem Rücken zu mir und streut den Stall mit Sägespänen aus und Lina ist währenddessen im Schuppen „Heu holen“. Vielleicht chattet sie dort aber auch heimlich mit ihren Freundinnen.
Nur noch einen Schritt und ich habe die schwarze Tonne erreicht.
Vorsichtig hebe ich den Deckel, um blitzschnell die Laterne im Schlund der Tonne verschwinden zu lassen. Jetzt nur nicht atmen …
„HAAAALT! WAS MACHST DU DENN DA????“
Verflixt. Er hat mich erwischt.
„Äh, nun, ja. Die ist doch total zerdellert und richtig schön war sie doch auch nie, oder?“, stammele ich mir etwas zurecht. Dass er mit den komischen Fussball-Chips, die ich in der Laterne versteckt habe und den verstaubten und verklebten Scherzartikeln, die auch noch hineingepasst haben, seit Jahren nicht mehr gespielt hat, verschweige ich dezent.
„Gib mal her!“
Unfähig zu Widerstand reiche ich meinem Sohn die Laterne. Er schaut hinein. Dann schaut er mich an, zieht vorwurfsvoll die Augenbrauen hoch und schüttelt langsam den Kopf.
Er zieht das Fußballtor für die Plastik-Chips aus der Laterne, hält es mir vor die Nase und sagt mahnend:
„Das gehört doch in den Papiermüll, Mama. Blaue Tonne. Nicht schwarz.“
Den Rest der Mülltrennung überlasse ich dann auch noch meinem Sohn und kehre zu meinem Mann auf den Speicher zurück. Er ist aber irgendwie der Meinung, dass sich meine Aufräumanstrengungen nur so mäßig gut mit seinen Vorstellungen von einem aufgeräumten Dachboden vereinbaren lassen und sagt zu mir: „Geh doch mal und mach was, was Du kannst. Trink doch mal einen Kaffee.“
Als er die Blitze bemerkt, die aus meinen Augen schießen, obwohl ich den Vorschlag eigentlich ganz vernünftig finde, setzt er noch hinterher: „Oder schreib doch mal ne Geschichte über den Dachboden.“
Und so sitze ich nun hier und schreibe diese Geschichte auf.
Und frage mich, wo ich demnächst hinlaufen soll, wenn Freddy Krüger hier vorbei kommt. Der Speicher ist ja jetzt aufgeräumt.
Aber vielleicht kann ich ihn mit einer leeren Videokassette erschlagen.
Und um die Entsorgung kann sich dann ja jemand anderes kümmern. Mein Sohn zum Beispiel.
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Dein Sohn ist einfach der Beste. :’D Ich glaub, du hast die perfekten familiären Voraussetzungen, um Comedian zu werden.^^
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