Verliebt in Berlin: Auf zur #Blogfamilia


Abitur, Studium und vierzig Jahre Lebenserfahrung haben es mir bislang nicht ermöglicht, den Verspätungsalarm der Deutschen Bahn zu verstehen.
So bin ich verwirrt als mich der erste Alarm zu meiner Zugverbindung nach Berlin knapp eine Woche vor Abfahrt erreicht.

noch-ne-reiseauskunft

Ich bin aber auch ein bisschen beeindruckt.

Beschäftigen die jetzt Hellseher bei der Bahn, die in ihrer Glaskugel sehen, wann welcher Zug ausfällt?
Als ich versuche, die kryptische Mitteilung, die man mir geschickt hat, zu verstehen, bin ich endgültig überzeugt, dass es sich um Madama Olga handeln muss, die hier vage und mit sibyllinischen Andeutungen in die Zugkunft schaut.
Ein Computer-Algorithmus hätte ja einfach in der E-Mail mitteilen können, dass der Zug, den ich für die Rückfahrt vorgesehen hatte, von einem anderen Gleis als vorgesehen losfährt. So bekomme ich nur den Hinweis, dass ein Verspätungsalarm vorliegt und ich mal im Fahrplan nachschauen solle. Habe ich dann brav zwei Stunden lang zunehmend verzweifelter gemacht, um dann trotz der Gewissheit, dass der Zug, falls er nicht zufällig von Gleis 9 ¾ abfährt, generell aus dem Programm genommen wurde, eine Mail an die Reiseauskunft der Bahn zu schreiben, mit der Bitte um einen weiteren Hinweis in diesem Rätselbild.
Um eine Alternative zu haben, recherchiere ich mal die Verfügbarkeit von Fernbussen. Die brauchen acht bis fünfzehn Stunden nach Berlin. Geht’s noch?

Natürlich ist der Zug nicht verschwunden, ich war lediglich zu doof, die Suchanfrage hinreichend präzise zu formulieren. Wie mir das bei der Buchung gelungen war, bleibt mir bis heute schleierhaft. Muss ich wohl einen sehr hellen Moment gehabt haben. Notiz an mich: Besser nie ein Auto online konfigurieren. Oder noch besser: gar nichts.

Am Tag der Abreise habe ich noch mal den schlauen Gedanken, kurz vor Verlassen des Büros meine privaten E-Mails zu checken und stoße schon wieder auf eine geheimnisvolle Nachricht des mir inzwischen bekannten Reisealarms. Vermutlich testen die aus Datenschutz-Geheimnisverrats-Bürokratieabbau-Schildbürgerstreich-Gründen an ihren Kunden die neusten Kryptographieverfahren für das Fraunhoferinstitut. Ich werde wieder nicht schlau draus.

reiseauskunft

Da ich nicht wieder drei Tage Zeit habe, um auf eine Antwort zu warten, belästige ich die Dame am Bahn-Servicepoint, die eigentlich gerade Feierabend machen will. Nach fünf Minuten kann sie mir freudig mitteilen, dass der Zug immer noch nicht im Nirvana verschwunden ist, sondern aufgrund von Streckenarbeiten lediglich fünfundvierzig Minuten später als geplant ankommen wird. Na, da bin ich aber froh!

Am Bahnhof habe ich noch eine knappe Stunde Zeit, um das richtige Gleis zu finden. Noch viel wichtiger ist allerdings, dass ich für ausreichend Proviant sorge. Das erweist sich aufgrund des enormen vielfältigen Angebots in Kombination mit meiner diagnostizierten Entscheidungsschwäche als unerwartet schwierig. Zwischenzeitlich bin ich nicht sicher, ob ich jemals in den Zug nach Berlin werde einsteigen können, da ich mich für nichts entscheiden kann. Sieht alles so lecker aus.
Aber zum Glück brauche ich viel für die Fahrt. Denn erwiesenermaßen ist ja der Nahrungsbedarf auf Reisen um ein vielfaches höher als in anderen Lebenssituationen. Normalerweise würde im gleichen Zeitraum zu Hause vermutlich zwei Scheiben belegte Brote, womöglich etwas Rohkost und einen Joghurt essen. Jetzt blicke ich skeptisch auf meine zwei belegten Brötchen, die Frischkäsebrezel und den Mandarinenquark und frage mich, ob das zusammen mit den Nüsschen, der Packung Kekse und der Tafel Schokolade wirklich ausreicht, um mich unverhungert innerhalb von fünf Stunden nach Berlin zu bringen.

Um auf Nummer sicher zu gehen, treffe ich allerletzte Reisevorbereitungen:

hägen-dasz-eis

Und habe dann eine plötzliche Eingebung: Als ich eine Omi ihren Koffer den Bahnsteig langschieben sehe, wird mir mit einem Mal klar, warum an meiner Laptoptasche, die seit zehn Jahren mein treuer Begleiter ist, hinten ein Fach mit offenem Boden ist:

koffertrick

In Fulda stehen wir die erste Dreiviertelstunde und warten. Stört mich nicht weiter, war ja angesagt. Hinterher erfahre ich, dass das nicht die angesagte Verspätung war, sondern eine zusätzliche, weil es wohl irgendwo im weiteren Streckenverlauf gebrannt hat. Naja, kann passieren.

Ist nicht so schlimm, ich habe ja noch die Nüsschen und ein paar von den Keksen übrig.
Die kann ich essen, als wir kurz hinter Kassel schon wieder stehen.

Leider ist der Schaden an der Lok nicht durch den Zugführer zu beheben.
Lustig ist aber dafür, wie man in solchen Situationen mit den anderen Fahrgästen ins Gespräch kommt. Noch lustiger ist, wie die ersten panisch durch den Zug laufen, auf der Suche nach einer Steckdose, an der sie ihr Handy aufladen können. Aber als der Designer sich damals das lila-türkisfarbene EC-Zuginterieur überlegt hat, hat er anscheinend nicht so viel Wert auf funktionelle Details gelegt. Oder gab es damals noch gar keinen Strom?

Ist aber auch mal wieder nicht tragisch, Empfang gibt es dafür in Hessisch-Sibirien auch keinen. Welch Ironie: da hat man mal was zu lamentieren, da kann man es gar nicht in die Welt hinauströten.
Aber immerhin ist die Aussicht super:

schoene-aussicht

Uralte Weisheiten architektonisch umgesetzt: Das Runde muss ins Eckige

Wir Bahnreisende freuen uns über das kostenlose Wasser, das gereicht wird, ein paar der Gäste helfen sogar beim Verteilen.  Es ist nicht ganz klar, ob aus Langeweile, Mitleid mit den Zugbegleitern oder ob ein Stockholmsyndrom vorliegt.
Derweil versucht der Lokführer, den Ersatztriebwagen von hinten nach vorne zu bringen, was allerdings ein weiteres Stündchen dauert, da erst mal alle Züge, die hinter uns warten mussten, vorbeifahren dürfen.

lok-ueberholung

De Zuch kütt! Jetzt muss er nur noch aufs richtige Gleis und angekoppelt werden.

Applaus brandet auf, als der Schaffner über Lautsprecher verkündet, dass wir uns inzwischen 125 Minuten Verspätung erfahren haben und er jetzt vorbei kommt, um die Rückerstattungsformulare zu verteilen.

Schwuppdiwupp kostet mein Zugticket nur noch die Hälfte. Es gibt wohl Schlimmeres.

Ob die Sandkuchentrulla wohl jemals in Berlin ankommen wird? Werden die Nüsschen reichen oder ist sie vorher verhungert? Warum fährt sie alleine nach Berlin? Und was ist diese #blogfamilia?
Im nächsten Teil meiner Blogfamilia-Fahrt nach Berlin gibt es Antworten.

3 Gedanken zu „Verliebt in Berlin: Auf zur #Blogfamilia

  1. Mein Name sei MAMA

    Spannend, spannend! Eine Tafel Schokolade war aber definitiv spartanisch bemessen.
    Ich saß mal 5 Stunden im einem Flugzeug, bevor es zu einem 1 Stunden-Flug starten durfte (Schlechtwetterfront, so lange Verzögerung nicht vorhersehbar und wir hatten schon „abgelegt“ als das „Nichts geht mehr“ kam). Da wurde dann von der Stewardess an jeden genau eine Packung Nüsschen (12 Stück halbe Erdnüsse) gereicht. Ich wäre echt fast verhungert 😉
    Auf dem Flug gab es dann natürlich nichts mehr, den Proviant hatten wir ja schon vor dem Start aufgeknabbert….

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    Antwort
      1. Mein Name sei MAMA

        Ja, kaum zu glauben, dass ich das annähernd ohne Schäden überstanden habe. Da könnte sich jede Survival-Show etwas abschauen 😉
        Und meine Kinder wissen natürlich, welche Geschichte sie zu hören bekommen, wenn wir an der Kassa warten müssen und sie zu jammern anfangen: Als die Mama damals von NY nach Boston fliegen wollte… Da verdrehen sie dann lieber die Augen und sind still 🙂

        Gefällt 1 Person

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