An unserem letzten Morgen werde ich von leisem Schluchzen neben mir geweckt.
„Ich will nicht nach Hause. Berlin ist so toll.“
Und das aus dem Mund meines Sohnes, der sonst nicht so gerne woanders übernachtet.
Mir haben die letzten Tage auch sehr gut gefallen, allerdings freue ich mich schon darauf, mein Bett wieder mit meinem Mann zu teilen und nicht mit meinem Sohn. In der vergangenen Nacht, genauso wie in den Nächten zuvor hat er meinen Kopf übel mit Tritten malträtiert, bis es mir zu viel wurde und ich einmal um das Bett gegangen und an der anderen Seite wieder eingestiegen bin. Allerdings hat er das bemerkt und einfach die Richtung gewechselt. Daraufhin habe ich die Decke genommen und damit einen Wall zwischen uns errichtet.
Das nächste Mal bin ich dann wachgeworden, als er mit einem lauten Klong aus dem Bett gefallen ist. Danach hat das Kuscheläffchen erst mal eine Weile auf mir drauf gelegen.
Auch wenn unser Hotel in einem ganz anderen Bezirk lag, hatte ich auf einmal „Kreuzberger Nächte sind lang“ im Ohr.
Und tropische Nächte sind heiß.
Trotzdem stehen wir früh auf und checken aus, wir wollen ja an unserem letzten Morgen noch etwas von Berlin sehen.
Lina geht kurz ohne uns zurück ins Zimmer, um nachzuschauen, ob sie auch nichts vergessen hat. Fritz kann man ja nicht mehr alleine in der Lobby lassen, nachdem er die Klingel auf der Rezeptions-Theke entdeckt hat.
Als wir zur Hoteltür hinausgehen, zeigt uns Lina stolz, dass sie daran gedacht hat, den ganzen Süßkram aus dem Zimmer mitzunehmen.
Leider verpassen wir die Straßenbahn, als ich die gemopsten Sachen aus der Minibar zurückbringe, und wir müssen die zehn Minuten zu Fuß zur S-Bahn laufen.
Am Potsdamerplatz mache ich noch ein paar Fotos von den Kindern vor Mauerresten, die ekligerweise mit unzähligen Kaugummis verziert wurden. Also die Mauer natürlich, nicht die Kinder.
Wir frühstücken bei Dunkin‘ Donuts und stellen uns unser Frühstück fengshuigerecht nach Farben zusammen. Gesundheitsbewusst wie wir sind, achten wir darauf, dass auch Obst-Donuts darunter sind.

In Farbe und bunt. Mögen auch Wespen gerne.
Glücklicherweise wird diesmal niemand von einer Wespe gestochen, auch wenn die fiesen Biester es fortwährend versuchen. Erstaunlich, dass niemand irgendjemanden beim Herumfuchteln K.O. schlägt.
Anschließend haben wir viel Spaß im DDR-Museum. Die Kinder fahren mit dem Trabi mindestens einmal virtuell durch Berlin und Fritz findet das Klo in der Stasizelle sehr gemütlich. Ansonsten begeistert er sich für die FKK-Szenerien und Lina ist fasziniert von der Wählscheibentechnik des Bonzentelefons.

Eine Trabifahrt ist lustig, eine Trabifahrt ist schön … Wenn man nur nicht dauernd streiten müsste, wer fahren darf.
Auf dem Weg zum Brandenburger Tor treffen wir das lebende Denkmal wieder und machen am Tor angekommen schon wieder eine Brandenburger-Tor-Foto-Session, da die Bilder bei unserem ersten Versuch massiv überbelichtet waren.
Was sich niemand von uns erklären kann, da keiner irgendwelche Knöpfchen gedrückt und Kameraeinstellungen vorgenommen hat. Da gibt es ja auch niemanden in der Familie, der schrecklich gerne Knöpfchen drückt …
Apropos: Danach will Fritz unbedingt in den Raum der Stille.
„Was will denn das lauteste Kind Wiesbadens, wenn nicht gar der ganzen Welt, im Raum der Stille?“,
fasst Lina meine Gedanken in Worte. Aber Fritz bleibt bei seinem Wunsch und will unbedingt dorthinein. Ich ermahne ihn mehrfach, dass das mit der Ruhe ernst gemeint sein könnte und wir begeben uns in den Raum der Stille, um ein wenig innere Ruhe und Einkehr zu finden.
Es klappt ganz gut. Nach ungefähr drei Sekunden Kontemplation muss Fritz allerdings anfangen zu lachen, weil er den Fehler gemacht hat, seine grinsende Schwester anzuschauen und sich einfach zu sehr auf seinen Vorsatz, leise zu sein, konzentriert hat.
Der kleine Kerl gibt sich wirklich Mühe, nicht zu lachen, aber weder Umdrehen noch Augen-zuhalten oder auf-die-Hände-beißen funktioniert, und so kehrt nach zwanzig Sekunden im Raum der Stille auch wieder Ruhe ein, weil wir ihn verlassen.
Glücklicherweise waren wir die einzigen, die drin waren.
Diesmal sind die beiden Fatamorgana-Eiswagen wieder da und wir essen auf dem Weg zum Stelenfeld ein Eis. Dabei reden wir ein wenig über die Idee hinter diesem Erinnerungsfeld und ich kann ein grundlegendes Missverständnis bei meiner Tochter ausräumen: „Ach so, ich dachte, Hitler wäre ein Guter gewesen.“
Vielleicht sollte ich den Freundeskreis meiner Tochter mal genauer unter die Lupe nehmen. Oder wie konnte sie auf diese Idee kommen?
Nach einer Abschiedscurrywurst unter den Linden fahren wir zum Bahnhof.
Wir sind ein wenig nervös, als der Zug mit fünfzehn Minuten Verspätung einfährt, da wir in Leipzig elf Minuten Zeit zum Umsteigen haben.
Der Zug ist voll und ich freue mich, dass ich eine Reservierung habe. Ich freue mich nicht mehr, als ich feststelle, dass wir in den falschen Zugteil eingestiegen sind und unsere reservierten Plätze jetzt ohne uns nach Leipzig fahren.
Unser Anschlusszug, in den wir in Leipzig umsteigen sollen, hat glücklicherweise ebenfalls Verspätung, was in euphemistischem Bahn-Sprech heißt:
„Der ICE nach Wiesbaden wartet auf uns.“
Diesmal steigen wir gleich in den richtigen Zugteil ein und finden auch unsere reservierten Plätze.
Offensichtlich möchte die Bahn meinem Sohn eine zweite Chance zur inneren Einkehr geben, denn wir sind im Ruheabteil untergebracht.
Schade, wir sind wieder zurück. Aber wir kommen bestimmt wieder, Berlin!
Wer die ganze Geschichte noch mal von Anfang an lesen möchte, kann das hier:
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Mit dem Zug.
Berlin, Berlin, wir fahren durch Berlin! Mit dem Touri-Bus.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Ins KaDeWe.
Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Frühstücken und auf eine Hochzeit.
Ich bin froh und erleichtert, dass Berlin nicht allzu fies zu euch war 😉
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