6:00 Uhr zeigt der Wecker an.
Wie bescheuert kann man sein? Einmal ohne Kinder im Urlaub und dann so was am heiligen Sonntagmorgen.
Aber mit Kindern hätten wir das in der Tat gar nicht machen können, die hätten wir überhaupt nicht aus den Betten gezerrt bekommen. Schon gar nicht, um auf irgendeinen obskuren Fischmarkt zu gehen. „Ich mag keinen Fisch“, wäre vermutlich eine der freundlicheren Hinweise gewesen.
Der Mann an der Rezeption empfiehlt uns als Verkehrsmittel der ersten Wahl ein Taxi. Beim Blick auf den humpelnden Gatten auf dem Weg zum Bahnhof, denke ich, dass wir besser auf den Hotelangestellten gehört hätten.
Das vielfältige Angebot auf dem Hamburger Fischmarkt überwältigt uns:
Aber im Zug können wir nicht auch noch einen der formschönen vollgestopften Körbe transportieren, die man hier wohl kauft, um sich als ernstzunehmender Tourist zu outen. Also gönnen wir uns erst einmal ein schönes Frühstück:
Ein Anruf bei den Kindern ergibt, dass uns immer noch keiner vermisst, obgleich die Oma anscheinend ihre liebevolle Großmutter-Fassade fallen gelassen hat und die Kinder zu so unbeschreiblichen Dingen nötigt wie Zimmer aufräumen, Kaninchenstall säubern, baden oder – Hinweis: jetzt nur weiterlesen, wer wirklich starke Nerven hat – spazieren gehen.
Aber Gott sei’s gedankt, hat Fritz noch ein Bild von mir auf dem i-pad gefunden, das die größte Sehnsucht nach mir lindert.

Na, da habe ich mich die letzten drei Jahre aber gut gehalten …
Bei der anschließenden Alsterrundfahrt bekommen wir neben einem leichten Sonnenbrand im Gesicht noch viele interessante Informationen. Zum Beispiel, dass es in Hamburg 3,5 Millionen Bäume gibt.
Das merkwürdigste bei diesen ganzen Baumzahlen ist übrigens, dass der Quotient Hund/Baum jedes Mal bei 46 Bäume pro Hund liegt. Es ist mysteriös.
Außerdem erfahren wir, dass verliebte Schwäne sich gegenseitig spiegeln. Die machen dann immer das gleiche. Pärchenlook quasi. Mein lieber Schwan. Gut, dass mein Mann kein Schwan ist, der könnte sich nie verlieben.

Entweder sind die nicht verliebt oder da hat einer gerade nicht aufgepasst …
Höchste Zeit fürs Mittagessen. Ich wollte Labskaus essen, weswegen wir „The Old Commercial Room“ aufsuchen, ein Tipp des Bus-Stadterklärers. Die Wildecker Herzbuben, Udo Jürgens, Helmut Schmidt und ganz viele andere berühmte Menschen waren auch schon da. Außerdem bekommt man eine Urkunde, wenn man sich traut, eine ganze Portion Labskaus zu essen. Ich esse meine Portion auf, verzichte aber großmütig auf die Urkunde. Man möchte ja nicht zu angeberisch rüber kommen und an den Wänden zu Hause ist auch gar kein Platz mehr. Oder sollte ich etwa den gerahmten Fahrradführerschein abhängen oder das Seepferdchenabzeichen? Zudem plane ich den Erwerb eines Jodeldiploms, da muss schon etwas Platz gelassen werden.
Da das Restaurant gegenüber vom Michel ist, fahren wir mit dem Fahrstuhl auf den Turm und schauen uns an, was wir so die letzten Tage durchlaufen haben.
Wieder unten am Ausgang stoßen wir noch auf eine spezielle Dienstleistung:

Soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt per E-Mail. Heute könnte Schiller den Reim in die Tonne kloppen.
Neben dem Michel geht ein Mann an einer Statue vorbei und fasst ihr dabei kurz an den Finger. Der Finger von der Bronzefrau mit Zitronenkorb glänzt ganz golden. Weiß hier jemand, was es damit auf sich hat? Ich habe auf jeden Fall auch Kontakt aufgenommen.

Nach Hause telefonieren!
Auf dem Weg zurück ins Hotel sehen wir noch, wie Politessen Knöllchen verteilen. Allerdings heißen die hier nicht so. Nordisch nobel tragen die Strafzettelverteiler stolz den Aufdruck „Parkraummanagement“ auf ihrem Rücken. Ich bin entzückt. Die Falschparker vermutlich eher nicht. Denen ist es wahrscheinlich egal, ob das Bußgeld von Lovely Rita, Metermaid, oder einem diplomierten Parkraummanager oder Kai dem Kobold verhängt wurde.
Endlich kann ich mal eines meiner mitgenommenen Kleider anziehen, wir gehen nämlich am Abend ins Konzert.
Musikalisch bin ich ja sehr vielseitig. Man könnte auch sagen, nicht entscheidungsfähig. Eigentlich gefällt mir alles außer Techno, Soul und Volker Rosin. Naja, Blues und Funk muss jetzt auch nicht sein. Hardcore-Schlager ist ebenfalls nicht so wirklich meins und Rap natürlich. Aber Klassik, Klassik mag ich wirklich gerne. Heute Abend gibt es ein Copland-Klarinettenkonzert, die Mahagonny-Suite von Weill und Dvoraks „Aus der Neuen Welt“. Das wird toll.
In der Elbphilharmonie Laisz-Halle ist es sehr schick. Die Klos haben nicht einfach ein stilisiertes Frauensymbolmessingschildchen an der Tür, nein dort steht „Toilettenzimmer für Damen“. Und innen drinnen gibt es einen Mülleimer mit Sensor, der den Deckel wie von Geisterhand aufgehen lässt. Sehr edel. Unter dem „Erfrischungsraum“ hatte ich mir eigentlich ein Zimmer mit Spiegel zum Nase pudern vorgestellt, aber anscheinend nimmt man hier in der Pause Getränke und Snacks zu sich. Sehr nobel.
Ansonsten geht der Hanseat eher leger ins Konzert, wie ich feststelle. Jeans und Bluse oder Blazer sind die vorherrschende Kombi. Generell ist das Konzertpublikum hier jünger als in Wiesbaden.
Das wirkt sich auch auf das Klatschverhalten aus. In Wiesbaden kommen Dirigent und Solist noch zwei, vielleicht drei Mal zum Verbeugen raus. Dann ist aber auch nur noch die Hälfte der Konzertbesucher anwesend, alle anderen sind nämlich bereits mit dem Verklingen des letzten Tons aufgesprungen und haben den Saal fluchtartig verlassen, vermutlich weil das Heim schließt.
Aber hier gibt es mindestens zehn Applausrunden, wenn nicht noch mehr, und das Publikum johlt, klatscht und trampelt.
Die Musiker haben es sich aber auch verdient. Vor allem der erste Geiger, der Name im Programmheft lässt auf einen Rumänen schließen, hat es mir angetan. Ich bin ein bisschen froh, dass am Ende des Konzert sein Pultpartner noch beide Augen hat, der dunkel gelockte Mann im viel zu weiten Frack spielt nämlich, als hätte er seine Ausbildung als Stehgeiger in einer Pizzeria am Schwarzen Meer absolviert. Mit sehr ausladenden Bewegungen und ausgeprägter Gesichtsmimik violinisiert er sich durch den Abend und ich kann leider meinen Mann nicht anschauen, da ich ansonsten sicherlich laut losgeprustet hätte.
Die viele Klatscherei hat hungrig gemacht. Zum Abendessen suchen wir uns diesmal aus dem gigantischen Angebot Hamburgs ein Diner aus.
Mit der Rechnung bekommen wir ein paar Bonbons. Leider hat das orangene, das mein Mann haben wollte, schon jemand anderes gegessen.

Knusper, Knister, Knäuschen, wer hat von unsern Bonbons genascht?
Aber irgendwas ist ja immer.
Der nächste Tag ist leider schon wieder der letzte Hamburg-Tag. Aber wir gehen ins Museum und kriegen endlich doch noch ein Gefühl, wie Hamburg wirklich ist und wie wenig öffentliche Toiletten es hier gibt. Natürlich essen wir auch wieder was und müssen Abschied nehmen. Und rund um Bahnhöfe und Züge, trifft man erfahrungsgemäß immer die lustigsten Menschen …
Was bisher geschah:
Hamburg, meine Perle: Jetzt geht’s los!
Hamburg, Teil 2: Hoppe, hoppe Bus
Hamburg, Teil 3: Walking in a Mini-Wunderland
Hamburg, Teil 4: Auf der Reeperbahn nachts um halb neun
Moin Moin aus Hamburg 🙂
Ein schöner Reisebericht. Davon ab, das man „als echter Hamburger“ natürlich nicht mit dem Fahrstuhl zur Ausblickplattform des Michel fährt scheinst Du Dich ja gut geschlagen zu haben. 🙂
Ich bin ein waschechter Hamburger Jung, und gehe auch gerne, wenn auch viel zu selten auf den Fischmarkt. Auch ich schleppe dort tüten- und körbeweise Obst als Beute nach Hause – im Winter Apfelsinen.
Die Bronzestatue zeigt die Zitronenjette. So eine brauch eigentlich jede Zeit…
https://de.wikipedia.org/wiki/Henriette_Johanne_Marie_Müller
Die Schwäne sind wirklich putzig, wenn sie synchron die Hälse recken, allerdings ist es glaube ich lediglich Balzgehabe. Und dieses Feuer ist ja bekanntlich nur aus Stroh 😉
Als „Erinnerungsfoti“ für Euch, habe ich zufällig gestern ein Foto aus Hamburg gepostet.
Liebe Grüße aus Hamburg
Patrick
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Du Glücklicher! Die Stadt ist wirklich toll. Ich bin ein bisschen verliebt.
Und froh, dass ich die Zitronenjette angefasst habe. Jetzt kann ja nichts mehr schief gehen 🙂
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