Hamburg, Teil 6: Souvenir, Souvenir


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Endlich zeigt sich Hamburg von seiner trüben Seite, als wir am nächsten Morgen die Vorhänge unseres Hotelzimmers aufziehen. Es ist grau und nieselt ein wenig vor sich hin.
Stört uns aber nicht weiter, der Frühstücksraum ist ja drinnen.
Auf dem Weg dahin kommen wir an unserer Lieblings-Hotelzimmertür vorbei.

hoteltuer

Ich nehme an, dass die Wildecker Herzbuben nach ihrem Besuch im „Old Commercial Room“ nicht in diesem Zimmer übernachtet haben.

Diesmal belästige ich keine anderen Gäste mit meinem ausladenden Hinterteil sondern versuche es noch mal mit einem Franzbrötchen. Dieses schmeckt schon besser, aber beste Freunde werden wir nicht mehr.

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unscharfes Franzbrötchen

Ich will das schöne Hotel gar nicht verlassen und trinke, um Zeit zu schinden, Kaffee um Kaffee und kippe noch ein Kännchen Tee hinterher. Dabei frage ich mich, ob es irgendein Restaurant, Kneipe oder ähnliches in Hamburg gibt, in dem kein Helmut-Schmidt-Foto hängt.

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Nachdem die Koffer im Bahnhof im Schließfach verstaut sind, fahren wir mit der S-Bahn ein paar Stationen, um uns Övelgönne, eine idyllische Kapitänshäuserzeile am Elbstrand anzuschauen.
Auf dem Weg von S-Bahn-Station zu unserem Ziel erinnert mich meine Blase daran, dass ich sehr viel Flüssigkeit zu mir genommen habe, die sie jetzt gerne wieder los werden würde. Leider ist kein Klo in Sicht und auch kein Baum, hinter den ich mich schnell mal hocken könnte. Eigentlich gibt es gar nichts außer Einfamilienhäuschen. Ob ich einfach mal irgendwo klingeln soll?

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Gut, dass ich mal diesen Geburtsvorbereitungskurs gemacht habe. Ich atme den Harndrang so gut wie möglich weg. Blöd nur, dass der Kurs schon so lange her ist und ich vermutlich damals nicht meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf die Worte der Hebamme gelenkt habe.
Wir sind schon ein dolles Paar, wie wir zwei so durch Hamburg laufen: Humpelfred und Stöhnliesel.

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Nach gefühlten zehn Kilometer strammen Jammermarschs finde ich endlich eine Toilette und mit ihr mein Wohlbefinden wieder.
Den männlichen Füßen bringt das leider keine Besserung.
Obendrauf gibt es noch einen Bus, der uns in die Innenstadt zurückbringt und damit zu unserem nächsten Sightseeing-Punkt: Souvenir-Shopping.
Der Lieblingsmann findet endlich einen gescheiten Laden.

hsv-shop

Keine Beute, aber dafür leuchtende Augen

Als wir so durch die Stadt schlendern und humpeln, treffen wir einen von Linas Klassenkameraden samt Eltern. Lustigerweise treffen wir so gut wie überall, wo wir hinfahren, jemanden aus der Heimat.
Schade, dass Lina nicht dabei ist. Sie hätte bestimmt neben dem Jungen gestanden und so getan, als würde sie ihn nicht kennen. Macht sie nämlich immer so. War schon so im letzten Skiurlaub, da haben wir auch jemanden aus ihrer Klasse im Spaßbad getroffen.
Aber vielleicht gibt es ja auch Gründe dafür. Ich glaube, der Junge, den wir jetzt treffen, hatte die einzige Eins in der letzten Deutscharbeit. Als ich in Linas Alter war, wäre das auf jeden Fall ein akzeptabler Grund gewesen, jemanden zu ignorieren. Allerdings nicht, weil ich keine Streber leiden kann, sondern eher, weil das bedeutet hätte, dass das nicht meine Eins war …
Aber wir finden nicht nur Bekannte, wir finden auch Mitbringsel. Die Omas und der Opa bekommen Kaffee, die Kinder ein Tatort-Stadt-Land-Fluss-Block und ein Schimpfwörter-Memory.

mitbringsel

Außerdem haben wir einen Kölln-Laden entdeckt, in dem man mit großen Maschinen sein Müsli selbst mischen kann. Das ideale Geschenk für unseren Sohn, der sich ohne Probleme ausschließlich von Würstchen und Müsli ernähren könnte.

Wie Kinder drehen wir an den Rädchen und freuen uns mit strahlenden Augen wie ein Schnitzel über die Smarties und Minikekse, die in die Müslipackung plumpsen.

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Auf der anderen Straßenseite gibt es einen Burgerladen. Eigentlich wollte ich gerne ins Hardrock-Café essen gehen, aber das „Burgerlich“ macht auch einen ganz guten Eindruck. Und den Gag, in Hamburg einen Hamburger zu essen, ohne dabei zum Anthropophagen zu mutieren, kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.
Drinnen ist es wie in einer neuen Welt für uns. Hier bestellt man nicht einfach schnöde, nein man konfiguriert sich seinen Burger am im Tisch eingelassenen Tablet-PC und trinkt dazu hausgemachte Limonade in interessanten Geschmacksrichtungen wie Orange-Thymian oder Rote-Beete-Lakritz und knabbert dazu handgeschnitzte Pommes.
Wir fühlen uns wie Angehörige eines bislang unentdeckten Stammes Amazonas-Indianer, die zum ersten Mal ein Auto sehen. Aber da um den Hals baumelnder Fotoapparat und Reiseführer in der Hand uns zuverlässig als Touris ausweisen, bekommen wir alles geduldig und freundlich erklärt.
Und am Ausgang bekommt jeder Kunde noch einen Apfel. Besser als ein leeres Bonbonpapierchen.

burgerlich

Was nehm ich denn nur?

Eigentlich wollte ich gerne am letzten Tag noch eine Museumstour machen.
Dummerweise habe ich bei diesem Plan nicht bedacht, dass ungefähr 95% aller Museen montags geschlossen haben. Der Humpelmann hat daran auch nicht gedacht. Wobei ich das nicht ganz glaube. Ich vermute eher, er hat es mir absichtlich verschwiegen.
Aber wenn meine Vermutung zutrifft, dann hat sein Plan nicht funktioniert, denn wir finden doch noch eine offene Ausstellung. Im Bucerius-Kunstforum schauen wir uns „Picasso. Fenster zur Welt“ an.
Guernica war nicht dabei. Dafür jede Menge andere, sagen wir mal interessante, Arbeiten des Künstlers.
Ich weiß nicht, ob Picasso gewollt hätte, dass das alles ausgestellt wird. Jedes Bild oder Gekritzel, auf dem irgendwo unter Umständen ein Fenster zu sehen sein könnte, wurde in dieser Ausstellung gezeigt und darüber fabuliert, welche Wirkung damit erzielt wird. Ich meine, ich will doch auch kein Buch kaufen, in dem man die gesammelten Einkaufszettel von J.K. Rowling verlegt hat, auf denen Butter notiert ist.
Allerdings fragen wir uns schon, ob es vielleicht doch ein Fehler war, so viele Kunstwerke der Kinder aus der Kindergartenzeit freigiebig dem Recyclingkreislauf gespendet zu haben. Gerade jetzt, wo die Tochter eine Schule mit Kunstschwerpunkt besucht.
Wir ärgern uns, weil man auf der Bank keine Zinsen aufs Ersparte bekommt, aber vernichten achtlos unsere Altersversorgung im Altpapier. Wie bigott kann man sein?

Da man in der Ausstellung nicht fotografieren darf, gibt es hier zur Auflockerung ein Kunstwerk einer aufstrebenden jungen Künstlerin aus Wiesbaden, vergleichbar mit den ausgestellten Picasso-Werken (nur ohne Fenster, aber man kann ja durch ein Fenster drauf schauen):

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Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Ansonsten freut sich der Mann hämisch über eine Fotografie von Picasso vor einem Fenster, bei der aufs Künstlerknie scharfgestellt wurde und ich tue derweil so, als würde ich zu nah an die Bilder gehen, um die Aufpasser zucken zu sehen. So hat jeder seinen Spaß.

Nach dem anstrengenden Tagesprogramm gönnen wir uns vor der Heimfahrt noch einen Kaffee im Bahnhofs-Starbucks draußen in der Sonne, die sich doch wieder blicken lässt.
Ich bin ein wenig enttäuscht, dass der Barista nicht nach meinem Namen fragt, ich hatte mir schon so lustige überlegt. Ich war gedanklich alle Simpsonsfolgen durchgegangen in denen Bart in Moes Taverne anruft und Leute ausrufen lässt.

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Etwa zwei Minuten haben wir eine entspannte Zeit und freuen uns über das kostenfreie W-LAN. Dann findet mein Mann aber einen neuen Freund, der uns mit seiner Kranken- und Lebensgeschichte unterhält. Ich hoffe, dass der dunkle Fleck auf seiner Hose unterhalb der Gürtellinie von einem sabbernden Kleinkind stammt, aber vermutlich hat es doch eher irgendwas mit der Geschichte von der vergrößerten Prostata zu tun.

Auf ein geheimes Zeichen …

whats-app

… brechen wir auf, um unsere Koffer aus dem Schließfach zu befreien und auf dem Bahnsteig in Ruhe weiter zu warten.
Wir müssen allerdings ein paar Bögen schlagen, aber irgendwann werden wir unseren Begleiter doch los.

Auf dem Bahnsteig muss ich kurz inne halten, um einen stärkenden Schluck Kaffee zu nehmen.
Mit schlafwandlerischer Sicherheit erwische ich den einzigen Punkt im Bahnhof, an dem man nicht stehen darf.

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Meine Kinder verstehen Fragen von mir, die mit einer Bitte eingeleitet werden, auch immer nur als Angebot, das man durchaus auch ablehnen sollte. Irgendwoher müssen die das ja haben.

Manchmal glaube ich, dass in meinem Mann ein Wackeldackel verbaut wurde, so oft, wie der über mich den Kopf schüttelt.

Im Zug versucht er noch, ein paar Abschiedsfotos von Hamburg zu machen. Aber jedes Mal, wenn das Motiv schön wäre, fährt ein Zug vorbei.

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Wir haben wieder einmal Glück mit unseren Mitreisenden. Im Hauptbahnhof steigt ein schwarz gekleideter, Schlangenring und Fusselbart tragender Jüngling mit langen schmierigen Haaren ein, der gleich anfängt, auf einem Gameboy-Prototypen von Anfang der Neunziger herumzudrücken. Es quietscht und knarzt so laut, dass man kaum die Musik hören kann, die trotz Kopfhörer im Abteil so deutlich zu hören ist, wie etwas furchtbar Lautes, ein flüsterndes Kleinkind zum Beispiel.
Ich merke, dass es noch eine Musikvariation gibt, die sich meinem Geschmack entzieht: Heavy-Metal-Shanty.
„Alle, die mit uns auf Kapernfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein“.
Da müssen aber erst noch ein paar Barthaare mehr sprießen, bis der Junge mit Hein und Pit mitfahren darf.

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Ein bisschen wünsche ich mir die Fluch-der-Karibik-Musik herbei, wobei die thematisch ja sehr ähnlich angesiedelt ist. Musikalisch trennen diese beiden Stücke jedoch Welten. Ich hoffe auch sehr, in der Anzahl ihrer Fans. Aber der Wendler hat auch ein riesiges Publikum und der Herrgott bekanntlich einen großen Tiergarten.
Kurz bevor ich mir im Bordrestaurant „Heho, und ne Buddel voll Rum“ bestellen gehe, um mich zu betäuben, bittet meine Sitznachbarin um Ruhe. So geht es natürlich auch.
Jetzt ist nur noch das Knarzen der urzeitlichen Spielkonsole zu hören.

Ungefähr fünfzehn freundliche Verabschiedungen und Begrüßungen auf Deutsch und so etwas ähnlichem wie Englisch später sind wir auch schon in Wiesbaden und schließen unsere Kinder am Bahnsteig in die Arme. Sie sind frisch gebadet und freuen sich, uns zu sehen.

Vielleicht sollten wir die Kinder öfter mal bei der Oma lassen.

Epilog

Mein Mann hat sich doch tatsächlich bei unserer Wanderung durch Hamburg einen Ermüdungsbruch im Fuß, eine sogenannte Marschfraktur, zugezogen und ist keineswegs ein jammernder Faulpelz, wie man vielleicht aufgrund meiner manchmal unverschämt hämischen Berichterstattung hätte denken können. Es tut mir auch sehr leid, dass ich während unserer Märsche durch Hamburg eventuell unter Umständen nicht das angebrachte Maß an Mitgefühl vorgetäuscht habe.
Die aufgeräumten Zimmer der Kinder sind längst wieder Geschichte und Fritz isst heimlich von Linas Müsli. Aber pssst! Nicht verraten.
Falls sie es doch rauskriegt, kennt sie jetzt dafür jede Menge neue Schimpfworte. Und ich gehe jetzt mal Memory verlieren.

Und Hamburg: Ich komme bestimmt mal wieder!


Wer den Anfang verpasst hat, kann hier noch mal alle Hamburg-Teile lesen:

Hamburg, Teil 5: Mein lieber Schwan!

Hamburg, Teil 4: Auf der Reeperbahn nachts um halb neun

Hamburg, Teil 3: Walking in a Mini-Wunderland

Hamburg, Teil 2: Hoppe, hoppe Bus

Hamburg, meine Perle: Jetzt geht’s los!

 

Ein Gedanke zu „Hamburg, Teil 6: Souvenir, Souvenir

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